Interview des Monats: Freiwilligendienst in Polen

Emma Würffel entschied sich, nach ihrem Schulabschluss am Werner-von-Siemens-Gymnasium Großenhain einen Freiwilligendienst in Polen zu absolvieren. Hierzu nutzte Sie das Angebot der Organisation Aktion Sühnezeichen Friedensdienste. Hanka Kliese unterstützte das Vorhaben mit einer Patenschaft. Seit Kurzem ist Frau Würffel wieder zurück und berichtet uns heute von ihrem Freiwilligendienst in Polen.

 

politik.offen: Wie kam es dazu, dass Sie sich für das Freiwilligenjahr im Jüdischen Zentrum Oświęcim in Polen gemeldet haben?

Emma Würffel: Im Sommer vor meinem letzten Schuljahr hatte ich angefangen, mir zu überlegen, was ich nach dem Abi machen will. Da ich noch nicht genau wusste, was ich studieren wollte, habe ich beschlossen, erst einmal etwas anderes zu machen. Über eine Bekannte habe ich von „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V.“ (ASF) erfahren und mich sofort beworben. Die Arbeit von ASF geschieht vor allem in Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Da ich mich sehr für Geschichte und Politik begeistere, hatte ich die perfekte Organisation für mich gefunden. Bei dem Auswahlseminar im Januar habe ich meine Länderwünsche noch einmal geändert, nach Polen wollte ich vor allem, weil es dort viele interessante historische Projekte gab und ich gern in ein slawisches Land wollte. Kurz darauf habe ich die Zusage für das Projekt im Auschwitz Jewish Center in Oświęcim erhalten.

 

politik.offen: Welche Erwartungen hatten Sie an das Freiwilligenjahr und haben sie sich bestätigt?

Emma Würffel: Ich habe versucht, mit möglichst wenigen Erwartungen an den Freiwilligendienst heranzugehen. Vor allem habe ich mir von dem Jahr erhofft, dass ich herausfinde, was ich später machen möchte, eine neue Kultur kennenlerne und mehr über die Geschichte anderer Länder erfahre. Diese Erwartungen haben sich zu einhundert Prozent erfüllt. Natürlich gibt es auch Phasen, in denen man gerade als Freiwillige eher weniger zu tun hat, aber ich hatte stets die Möglichkeit, eigene Ideen einzubringen und Projekte zu initiieren. Das hat mir sehr geholfen, selbstständiger zu arbeiten und war etwas, was ich vorher gar nicht erwartet hatte. Vor Beginn des Freiwilligendienstes habe ich mir außerdem ein wenig Sorgen um die Verständigung gemacht. Aber auch das war größtenteils unbegründet. In meinem Projekt sprachen alle sehr gut Englisch, manche sogar Deutsch und für das alltägliche Leben reichte mein Polnisch glücklicherweise meistens aus. Zur Not musste die Übersetzerapp herhalten.

 

politik.offen: Was war ihre prägendste Erfahrung in diesem Jahr?

Emma Würffel: Meine prägendsten Erfahrungen waren vor allem die Auseinandersetzung mit der Geschichte und die Begegnung mit den unterschiedlichsten Menschen. Ein großer Teil meiner Arbeit bestand darin, Führungen im Jüdischen Zentrum und der Stadt Oświęcim zu geben. Nachdem Corona ab April in Polen quasi keine Rolle mehr spielte, hatte ich mehrere Führungen in der Woche. Dafür habe ich mich sehr umfassend mit den Museumsinhalten auseinandergesetzt, das waren vor allem viele Einzelschicksale von jüdischen Menschen, die vor der Shoah in Oświęcim gelebt haben. Ebenfalls Teil meiner Führung war es, etwas über die letzte Synagoge der Stadt und das Judentum zu erzählen. Dabei war es für mich vor allem besonders, wenn ich merkte, dass sich die Zuhörenden wirklich dafür interessierten. Gerade Schüler*innen, die anfangs nicht so geschichts- oder religionsinteressiert wirkten, horchten dann doch mal auf oder fragten genauer nach. Eine besondere Erfahrung war für mich auch das Zusammentreffen mit Menschen aus unterschiedlichen Nationen, Kulturen, Religionen und sozialen Kreisen. Das hat meinen Blick auf viele Themen sehr stark beeinflusst. Allein durch meine Mitarbeiter*innen und Mitfreiwilligen aus Polen, Österreich und der Ukraine habe ich viel Neues gelernt. Und durch die Arbeit im Museumscafé oder mit internationalen Gruppen kam man auch immer wieder mit anderen Leuten ins Gespräch.

 

politik.offen: Was raten Sie, jungen Menschen, die sich für ein Freiwilligenjahr interessieren?

Emma Würffel: Unbedingt machen! Meine größte Angst war am Anfang, dass ich das Jahr „verschwenden“ würde, aber Verschwendung ist ein Freiwilligendienst auf keinen Fall. Ganz egal in welchem Bereich, ob in Deutschland oder im Ausland, man sammelt viele neue Erfahrungen und lernt sich selbst noch einmal ganz anders kennen als im typischen Schulalltag. Mir hat das Freiwilligenjahr dabei geholfen, herauszufinden, was ich studieren möchte und auch einfach ganz grundlegende Sachen, wie z.B. von zu Hause auszuziehen, einen normalen Arbeitsalltag zu erleben oder mein Englisch zu verbessern – auch das sind hilfreiche Erfahrung. Übrigens sind Freiwilligendienste nicht nur etwas für Menschen, die Abitur gemacht haben. Oft besteht immer noch das Bild des/der typischen Abiturienten/in, der oder die vor dem Studium ein „gap year“ einlegt. Aber viele Organisationen suchen explizit nach jungen Leuten mit Realschulabschluss oder einer Ausbildung.