„Wir haben die Möglichkeit, unseren Wohlstand mit denen zu teilen, die nun unsere Hilfe brauchen“

Liebe Freundinnen und Freunde der Menschenrechte und des Friedens,

die Bombardierung des Stadt Chemnitz markiert einen wichtigen Schritt auf dem Weg
zur Beendigung des Zweiten Weltkrieges. Auf dem Weg zur Beendigung von Leid und Schrecken, zur Beendigung der Shoa, zur Beendigung der Verfolgung von Homosexuellen, Sinti und Roma, Behinderten, Andersdenkenden.

Wer heute in Einsiedel und anderswo schwadroniert, man habe 1945 „aus eigener Kraft“ alles wieder aufgebaut, offenbart seine Bildungslücken. Aus eigener Kraft haben die Deutschen Krieg geführt. Aus eigener Kraft haben sie Juden verraten und ermordet. Aus eigener Kraft haben sie Konzentrationslager gebaut. Den Krieg beenden mussten Andere. Auch der Aufbau war – egal ob in Ost oder West – kein Alleingang. Ohne die Unterstützung der Alliierten wäre er nicht möglich gewesen. Eine Unterstützung, die wir heute anderen Ländern auch gewähren sollten. Nicht mit Waffen, sondern mit humanitärer Hilfe. Humanitärer Hilfe dort, wo tatsächlich Flüchtlinge strömen, zum Beispiel im Libanon. Diejenigen Menschen, die hier in Deutschland ankommen, gehören zu einer Minderheit, die es geschafft hat, sich den langen Weg in die Festung Europa zu bahnen. Monate voller Angst und Ungewissheit liegen hinter ihnen. Wir können niemanden zwingen, diese Menschen mit offenen Armen zu empfangen. Aber wir können eine ganz klare Botschaft versenden: Wer Geflüchtete bedroht, anbrüllt, ihnen den Weg zu ihrer Unterkunft versperrt, sie verängstigt oder gar Hand an sie legt, muss geächtet werden.

In den letzten Wochen sind sich manche nicht zu schade, im Zuge einer „jetzt erst Recht“-Haltung zu bekennen, dass sie einen „Sachsenstolz“ in sich tragen. Dabei ist es doch kein persönliches Verdienst, ob ich in Karl Marx Stadt oder in Timbuktu geboren bin.

Es besteht keinerlei Eigenleistung darin. Ich erfreue mich gern an der schönen Landschaft in Sachsen, doch ich habe sie nicht erschaffen. Ich bin – wie die meisten von uns – eben rein zufällig hier. Aber wir sind so fleißig, werden jetzt die besorgten Bürger sagen. Wir haben doch diesen Wohlstand erarbeitet! Ja, viele von uns sind fleißig. Fleißig sind die Menschen auch in Indien. Damit wir auch morgen noch T-Shirts für fünf Euro kaufen können. Wir müssen uns dafür nicht selbst kasteien, wir müssen auch Deutschland und Sachsen nicht hassen, doch wir sollten uns bewusst sein, dass unser Reichtum auch auf der Arbeit anderer basiert, denen es deutlich schlechter geht.

Wir haben das Glück, in einem Land des Wohlstands zu leben, in dem wir uns den Luxus leisten können darüber zu diskutieren, ob wir es gut finden unsere Kinder zu impfen oder nicht. Wir haben die Möglichkeit, diesen Wohlstand mit denen zu teilen, die nun unsere Hilfe brauchen. Die jetzt zu uns kommen, brauchen mehr als unsere materielle Unterstützung. Sie brauchen ein zuhause. Wenn wir ihnen das bieten, kann wer will darauf auch gern stolz sein.

Liebe Freundinnen und Freunde der Menschenrechte und des Friedens, der 5. März eignet sich in besonderer Weise, uns daran zu erinnern, dass wir unseren Wohlstand nicht allein erschaffen haben. Er mahnt uns auch wachsam zu sein, wenn Menschen sich in einem übertriebenen Stolz über andere stellen und meinen, sie wären ihnen überlegen. Unser Dank gilt heute allen, die im 3. Reich nicht dieser Logik der vermeintlichen Überlegenheit anheim gefallen sind. Und denen, die Deutschland von den fatalen Folgen dieses Irrglaubens befreit habe.

Chemnitz, den 5. März 2016